In der algerischen Hauptstadt wurde 2011 der Grundstein gelegt für die drittgrößte Moschee der Welt. Nun ist sie fertiggestellt und war bereits an ersten hohen Festtagen öffentlich zugänglich. Entworfen und geplant haben die Moschee Jürgen Engel und sein Team von KSP Engel. Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die der Architekt darüber zu erzählen hat: von den ersten Recherchen zum Moscheebau über die Verbindung von islamischer Tradition mit moderner Architektur bis hin zur Arbeit auf einer interkulturellen Baustelle. All diese Themen umfasst das Buch, das jetzt bei Park Books, Zürich unter dem Titel „The Making of a Mosque von KSP Engel“ erschienen ist. Im Interview mit hr-iNFO Kultur berichtet Jürgen Engel von den Besonderheiten des Projektes und zeigt auf, was ein deutscher Architekt vom Bau einer Moschee im maghrebinischen Kulturraum Nordafrikas lernen kann.

Christoph Scheffer:

Was hat Sie, der in Frankfurt eher für nüchterne und moderne Bürohochhäuser bekannt ist, daran gereizt, eine Moschee zu bauen?

Jürgen Engel:

Wir haben uns immer mit Kulturbauten auseinandergesetzt und auch schon mehrere davon errichtet. Unter anderem haben wir die chinesische Nationalbibliothek in Peking und einige Museen in China gebaut. Zudem haben wir die Gedenkstätte in Bergen-Belsen entworfen. Das sind ebenfalls kontemplative kulturelle Bauten, die durchaus sehr emotional sein können.

„Die schiere Größe der Moschee macht einen andächtig und sehr bewegt.“

Christopf Scheffer:

Wie haben Sie sich den auch von der Religion und von der islamischen Tradition geprägten Anforderungen angenähert?

Jürgen Engel:

Eine solche Bauaufgabe ist erst einmal eine tolle Voraussetzung, um zu lernen. Jeder Wettbewerb, den wir in anderen Kulturkreisen machen, ist für uns eine interessante Aufgabe – zum einen müssen wir uns mit der Kultur und den Gegebenheiten vor Ort, zum anderen mit der Bauaufgabe auseinandersetzen. Hinzu kam dann noch der religiöse Aspekt. Das ist für uns immer eine der schönsten Aufgaben. Ich habe Moscheen besucht, die mich damals extrem interessiert und fasziniert haben – wie zum Beispiel die Moschee in Córdoba. Besonders die Pfeilerhallentypologie für ein sakrales Gebäude fand ich sehr interessant. Das bedeutet eben, dass es keine Hierarchie im Innenraum gibt. Der Innenraum ist eine große Halle, in der sich Menschen zum Gebet treffen und alle gleich sind. Wir haben uns dazu natürlich noch beraten lassen und uns viel Wissen über die Bildersprache, die Ornamentik und andere wesentliche Aspekte angeeignet.

„Der Innenraum ist eine große Halle, in der sich Menschen zum Gebet treffen und alle gleich sind.“

Christoph Scheffer:

Wie hat Sie Algier beeinflusst? Wie haben Sie den Ort auf sich wirken lassen und wie ist die Idee, die Gestalt dieser Moschee vor Ihnen erschienen?

Jürgen Engel:

Algier ist eine wunderbare Stadt, die in einer sichelförmigen Bucht liegt und sich zum Meer hin öffnet. Davor liegen die Schiffe, die darauf warten, in den Hafen einfahren zu dürfen. Die Szenerie hat etwas Beschützendes. Außerdem findet man in der Stadt architektonisch eine Mischung aus Pariser Haussmann-Ära, aus der Jahrhundertwende, Kolonialstil, Bauten von Fernand Pouillon und Oscar Niemeyer.

Das Grundstück an sich kann als eine Erweiterung der Stadt gesehen werden, und deswegen haben wir die Moschee auch als Katalysator für die Stadtentwicklung gesehen und konzipiert. Dafür haben wir uns überlegt, wie wir in dieser Umgebung ein elegantes, starkes Gebäude errichten, wo an besonderen Festtagen etwa 120.000 Menschen Platz finden. Zudem haben wir uns auch von der Flora und Fauna des Landes inspirieren lassen und uns deswegen für ein florales Motiv für die Säulen entschieden. So entstand die Idee zur Calla-Säule, die ihren Ursprung in der Form der Callablüte hat und das gesamte Gelände der Moschee prägt. Nicht zuletzt haben wir uns mit der Tradition des Landes auseinandergesetzt. Die maghrebinische Moschee hat traditionell ein asymmetrisch stehendes Minarett in Form eines Turmes. Wir haben an diese Tradition angeknüpft und ein 265 Meter hohes, sehr schlankes Hochhaus konzipiert, das auf einem quadratischen Grundriss basiert. Der Turm ist das höchste Gebäude Afrikas. Ich kann die Größe der Anlage tatsächlich kaum mit Worten beschreiben. Das muss man wirklich erleben.

„Bei der Planung haben wir uns überlegt, wie wir in dieser Umgebung ein elegantes, starkes Gebäude errichten, das zusätzlich als neues Stadtquartier genutzt werden kann.“

Christoph Scheffer:

Wie ging es Ihnen persönlich, als Sie zum ersten Mal den fertigen Raum betreten haben?

Jürgen Engel:

Das ist eine interessante Frage. Am Anfang ist alles nur eine Konstruktion und man sieht diese riesigen Fundamente und das dahinter liegende Meer. Als die Moschee dann fertig war und der Innenausbau so weit war, dass man die Architektur wirklich fühlen konnte, das war schon sehr erhebend. Auch die schiere Größe macht einen andächtig und hat mich sehr bewegt. Es sind Orte, an denen man innehält, wenn man sie betritt. Man ist eigentlich nur noch mit sich selbst und dem Ort beschäftigt. Man denkt an nichts anderes mehr, und genau das macht die Qualität solcher Bauwerke aus.

„Die Baustelle war wie eine große Manufaktur, wo nicht nur ein Gebäude errichtet, sondern auch gekocht und gelebt wurde.“

Christoph Scheffer:

In dem Buch, das Sie im Sommer 2022 gemeinsam mit dem Autor Christian Welzbacher herausgegeben haben, wird mit Essays, Interviews, Entwurfszeichnungen und Skizzen die Geschichte des Baus aus einer interkulturellen Perspektive erzählt. Was haben Sie über eine interkulturelle Baustelle gelernt? Was hat die besondere Zusammenarbeit ausgemacht?

Jürgen Engel:

Auf der Baustelle sind sehr viele Nationalitäten zusammengekommen. Wir hatten deutsche Architekten und Planer, eine chinesische Baufirma, algerische Arbeiter und kanadische Projektsteuerer vor Ort. Es gibt selbstverständlich einige unterhaltsame Geschichten: Die chinesischen Arbeiter haben beispielsweise am Rande der Baustelle Gemüsegärten angelegt. Sie hatten eigene Gärtner, die dafür gesorgt haben, dass die Beete bestellt wurden. Das war das Essen für die Bauarbeiter vor Ort. Es war spannend für uns zu sehen, wie das Leben auf der Baustelle vonstatten ging.
Zudem wurde sehr viel improvisiert, was durchaus zielführend war. Die Bauarbeiter haben zum Beispiel die Abstandhalter aus kleinen Betonklötzchen selber angefertigt. Das sind bei uns normalerweise industriell gefertigte Massenartikel aus Plastik. Aber dort wurde viel handgefertigt, da nicht immer alle Materialien und Hilfsmittel zur Verfügung standen. Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Improvisation, gepaart mit Pragmatismus und Kreativität, hat uns beeindruckt und sehr bereichert. Diese Baustelle war definitiv eine neue und interessante Erfahrung.

Der Beitrag ist ein bearbeiteter Auszug aus einem Interview zwischen Jürgen Engel und Christoph Scheffer, hr-iNFO Kultur. Das gesamte Interview ist in der ARD Audiothek abrufbar und beginnt bei Minute 06:35.

Das Buch zum Bau der Moschee, herausgegeben von Jürgen Engel und Christian Welzbacher, ist unter dem Titel „The Making of a Mosque: Djamaâ el-Djazaïr – Die Große Moschee Algier von KSP Engel“ in diesem Jahr (2022) bei Park Books, Zürich erschienen und auf Deutsch, Englisch und Französisch hier erhältlich.

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Jürgen Engel
Geschäftsführender Gesellschafter

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