“Symbolisch handelt es sich um ein religiöses Projekt mit nationaler Tragweite und internationaler Ausstrahlung.”

Ein multikulturelles Projekt

Der gesamte Planungsprozess des Moscheenkomplexes und des Minaretts erfolgte unter der Zusammenarbeit von algerischen und internationalen Experten. Das betraf nicht allein das Raumprogramm und die symbolische Form, die in enger Abstimmung mit den Religionsbehörden, Islamwissenschaftlern, Kunst- und Kulturhistorikern erarbeitet wurde, sondern auch die Konstruktion. In der Frühphase der Planung luden KSP Engel mit Krebs+Kiefer renommierte Ingenieure und Seismologen nach Algier, um die gewählten Lösungen gemeinsam zu diskutieren. Die Realisierung der Djamaâ el-Djazaïr oblag der China State Construction Engineering Corporation (CSCEC). Die Projektsteuerung übernahm Dessau aus Kanada. Das gesamte Projekt setzt auch für das Thema Erbebensicherheit vollkommen neue Maßstäbe und wird entsprechend von der Fachöffentlichkeit weltweit intensiv wahrgenommen: als vielschichtiger „Leuchtturm“ in der Bucht von Algier. Die große Moschee ist nicht nur das neue religiöse Zentrum der Stadt, sondern auch das neue Wahrzeichen von Algier. Der Gebetssaal ist das Herzstück der Moschee und bietet Platz für bis zu 36 000 Gläubige.

Der Gebetssaal ist das Herzstück der Moschee und bietet Platz für bis zu 36 000 Gläubige.

Form, Ästhetik, Transparenz

Das 265 Meter hohe Minarett ist der vertikale Ankerpunkt – gleichsam der Leuchtturm – eines an den Gestaden der Bucht von Algier gelegenen, ausgedehnten religiösen und kulturellen Quartiers rings um den Neubau der Großen Moschee von Algier, der heute drittgrößten Moschee der Welt (nach den Pilgerstätten in Mekka und Medina). Als schlanker, aufragender Turm rekurriert das Minarett der Djamaâ el-Djazaïr in seinen Umrissen auf historische Vorbilder. Die kubisch-kantige Form bezieht sich auf eine Typologie, die historisch im nordafrikanischen Maghreb und in Andalusien anzutreffen ist. Berühmtestes Beispiel ist die „Giralda“ des heutigen Domes von Sevilla. Die Turmspitze mit dem zurückgesetzten Staffelgeschoss ist in Algier mit einer Glashülle eingehaust und als Aussichtsplattform mit Blick über Stadt und Meer für alle Besucher*innen öffentlich zugänglich.

Die historischen Steinkonstruktionen sind jedoch in Algier neu interpretiert und in einen zeitgemäßen Dreiklang aus Stahl, Glas und Beton übersetzt. Vier Ecktürme, kreuzförmig mit Stahlträgern verstrebt, ragen über die gesamte Gebäudehöhe in den Himmel. Diese Konstruktion ermöglicht in den von der Querverstrebung freibleibenden Geschossen offene Hallen mit allseitigen Glasfassaden. Das Zentrum des Turms ist von jeglichen Einbauten und Stützen freigehalten. Nach außen haben die Besucher*innen und Nutzer*innen einen ungehinderten Blick durch die Innenräume des gesamten Minaretts auf die Landschaft, die Stadt und das Meer. Die für ein Hochhaus dieser Dimensionierung ungewöhnliche Transparenz mit ihrer offenen Raumdisposition war von Beginn an ein Kernelement des Entwurfs.

Der Bau als Symbol

Gleichzeitig lassen sich die Gliederung von Turmschaft und Fassade als vielschichtige symbolische Form lesen, die auf den Koran und die Grundsätze des Islam Bezug nehmen: auf die „Fünf Säulen des Islam“. Fünf Abschnitte zu je fünf Etagen mit einer Geschosshöhe von jeweils 5,50 Metern lassen sich durch den Materialwechsel an der Fassade ablesen Sie sind durch zurückhaltend ornamentiertes Gitterwerk mit sog. Maschrabbyen als Verschattungselementen verkleidet. Zwischen diesen vom Ornament geprägten Bereichen setzten sich die gläsernen Abschnitte der insgesamt fünf Aussichtsebenen (Skylobbies) optisch deutlich ab. Sie sind als offene Hallen konzipiert, Aussichts- und Verweilpunkt der Besucher*innen, die auch begrünt werden können. Gleichzeitig sind sie Verteilerräume für die verschiedenen Nutzungen. Als Hybridhochhaus beherbergt das Minarett öffentliche Nutzungen wie ein Museum für Islamische Kunst und Geschichte und eine Aussichtsplattform in der verglasten Turmspitze. Außerdem sind im Turm Räume für die Verwaltung und ein Forschungszentrum untergebracht. Da ein Teil der Funktionen des Minaretts öffentlich sind, steht die Bündelung der Verkehrswege und eine klare Orientierung im Mittelpunkt. Sie ist gegeben, da die vertikale Erschließung (Aufzüge und Treppenhäuser) sowie die Sicherheitsanlagen in den Ecktürmen untergebracht sind. Die ansonsten stützenfreien Innenräume lassen sich – ähnlich wie bei einem konventionellen Hochhaus – sehr flexibel nutzen: so lassen sich die Ausstellungsflächen frei aufteilen ebenso wie für die Büro- und Verwaltungsflächen im Turm, die je nach Bedarf als Großraumbüros und kleinteiligere Büroflächen genutzt werden können. Das Minaretthochhaus ist somit Teil eines sakralen Bauwerks mit teils profanen Nutzungen.

Die Calla-Säule ist über den gesamten Baukomplex verteilt - insgesamt sind es 618 Säulen. Ihre Form und Proportion sind inspiriert von der in Afrika heimischen Calla-Pflanze.

“Funktional handelt es sich um ein Hybridhochhaus, dass eine ganze Fülle von Aufgaben aufnimmt.”

Die große Moschee ist nicht nur das neue religiöse Zentrum der Stadt, sondern auch das neue Wahrzeichen von Algier.

Kontext und Bauaufgabe

KSP Engel erhielt den Bauauftrag, nachdem der Entwurf siegreich aus dem 2008 abgehaltenen internationalen Wettbewerb hervorging. Ziel war nicht allein die Errichtung einer Staatsmoschee. Es ging auch um die städtebauliche Anbindung eines ausgedehnten neuen Wohn- und Geschäftsquartiers an die Innenstadt von Algiers. Die auf bis zu 120.000 Besucher*innen ausgelegte Djamaâ el-Djazaïr hat entsprechende Scharnierfunktion, was sich auch in der Vielzahl ihrer Nutzungen ausdrückt. Der Komplex umfasst eine Theologische Hochschule, Wohnbauten, Verwaltung, Museum, einen Ort des Gebets und der Einkehr, Parks, einen Aussichtspunkt, eine Bibliothek und eine Cinemathek. Diese Funktionen verteilen sich auf mehrere Bauteile, darunter auch auf das Hybridhochhaus des Minaretts.

Fassaden

Der Außenbau des Minaretts vereinigt verschiedene Fassadenformen: Die Ecktürme sind mit beigeweißen Travertinplatten aus italienischen Steinbrüchen verkleidet. Die Maschrabbyen wurden aus erdfarben gefärbtem Faserbeton gegossen. Sie sind einer Glasfassade vorgehängt, die auf der Höhe der Skylobbies und am oberen Turmabschluss (Soummah) prägend hervortritt. Die großen Glaspaneele der transparenten Haube sind an einem insgesamt 45 Meter hohen Stahlgerüst montiert. Sie wirken je nach Lichtverhältnissen äußerst transparent oder wie eine geschlossene Haut.

Die Verbindung aus Konstruktion und Statik, schlanker Form und Kompaktheit des Grundrisses ermöglicht eine vollkommene Stützenfreiheit im Innern.
Als Hybridhochhaus beherbergt das Minarett öffentliche Nutzungen wie ein Museum für Islamische Kunst und Geschichte und eine Aussichtsplattform in der verglasten Turmspitze.

Konstruktion und Statik

Von Beginn an spielte beim Projekt der Djamaâ el-Djazaïr für den Auftraggeber das Thema Dauerhaftigkeit eine wichtige Rolle. Das betrifft nicht allein die verbauten Materialien, sondern bezieht sich in besonderer Weise auch auf die Konstruktion jedes einzelnen Bauteils, da Algerien in einem stark erdbebengefährdeten Gebiet liegt. Beim Minaretthochhaus wirkte sich dieser Anspruch folgerichtig auf zahlreiche grundsätzliche statische Entscheidungen aus, die KSP Engel gemeinsam mit den am Projekt beteiligten Ingenieuren von Krebs+Kiefer traf. Zunächst war es darum gegangen, auch unter den gegebenen geologischen Verhältnissen einen Turm von äußerster Schlankheit und Eleganz zu konstruieren, der auf einem quadratischen, 28 x 28 Meter messenden Grundriss fußt. Dessen Proportionen beziehen sich auf die Anlage insgesamt und machten auch die ungewöhnliche Höhe notwendig. Das Verhältnis von Breite zu Höhe beträgt etwa 1:10.

“Technisch handelt es sich um ein Bauwerk, dass neue Standards für das Bauen in erdbebengefährdeten Regionen setzt.”

Erdbebensicherheit

Die nächste konstruktive Entscheidung betraf das Tragwerk. Statt eines inneren zentralen Hochhauskerns entschied man sich zum Bau vierer Ecktürme aus Stahlbeton. Sie sind über ein sogenanntes Vierendeel-Tragwerk mit markanten X-förmigen Auskreuzungen miteinander querverstrebt, sodass eine in sich steife, bei stoßartige Erbebenschocks aber flexible Konstruktion entsteht, die erhebliche Schwingungen des gesamten Turmes abfangen kann. Die Große Moschee bildet eine Symbiose aus der maghrebinischen Bautradition und einem in der Gegenwart verwurzelten Architekturverständnis. Elemente wie die Calla-Säule oder das Minarett als schlankes Hochhaus sind innovative Interpretationen historischer Bauformen. Als moderne Freitagsmoschee ist sie nicht nur Mittelpunkt des religiösen, sozialen und gesellschaftlichen Lebens, sondern auch ein Katalysator für die Stadtentwicklung im Osten Algiers. Entstanden ist eine neue maghrebinische Architektur mit internationaler Strahlkraft.

Von der jeweiligen Skylobby sind die Ausstellungsebenen über offene Treppen zu erreichen.

Das Buch zum Bau der Moschee, herausgebracht von Jürgen Engel und Christian Welzbacher, ist unter dem Titel „The Making of a Mosque: Djamaâ el-Djazaïr – Die Große Moschee Algier von KSP Engel“ Ende Mai 2022 bei Park Books, Zürich, erschienen und auf Deutsch, Englisch und Französisch hier erhältlich.

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Jürgen Engel
Geschäftsführender Gesellschafter

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